- Nordischer Kreis
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Nordischer KreisAls Quellengruppen von allgemeiner europäischer Bedeutung sind aus der Bronzezeit Nordeuropas die vor allem in Südschweden (Schonen, Östergötland, Bohuslän) vorkommenden Felsbilder, die Metallkunst und die bereits zusammenhängend behandelten Funde von Trachtenresten aus den Baumsargbestattungen zu nennen. Künstlerisch hoch stehende und ornamental meisterhaft verzierte Bronzen von handwerklich erlesener Qualität kamen schon im 19. Jahrhundert in Schweden und Dänemark sowie den angrenzenden Gebieten Südskandinaviens, so auch in Schleswig-Holstein, zahlreich zutage. Es handelt sich hauptsächlich um Vollgriffschwerter, Gürtelscheiben, Gürteldosen, weitere Trachtbestandteile und Schmuck, Hängebecken, Rasiermesser, Schilde, ferner kleine Figuren und Symbole, die offenbar auf nicht überlieferten Holzmodellen von Kultschiffen angebracht waren, und nicht zuletzt paarweise geblasene Hörner, die Luren. Berühmtestes Beispiel der bronzezeitlichen Kunst ist indes der Sonnenwagen von Trundholm, der 1902 gefunden wurde. Um die Jahrhundertwende wurde auf der Grundlage der archäologischen Funde das schon 1829 entwickelte Dreiperiodensystem, die Einteilung der Vorgeschichte in Stein-, Bronze- und Eisenzeit, befestigt, zugleich nahm man die Gegenstände der nordeuropäischen Bronzezeit als Belege einer »germanischen Kulturhöhe« in Anspruch, die sich mit den damals bekannten alteuropäischen Hochkulturen messen könne, mit Kreta, Mykene und dem frühklassischen Griechenland, aber auch mit dem Italien der Etrusker und der griechischen Siedler im Süden, in »Großgriechenland« (»Magna Graecia«).Für diesen nordeuropäischen Kreis bürgerten sich die Begriffe »Nordischer Kreis« oder »Nordische Bronzezeit« ein. Durch die nüchternen Arbeiten von Hans Hildebrand, Oscar Montelius und Sophus Müller gelang ihre systematische Gliederung in eine Abfolge von sechs Zeitabschnitten, die noch heute gültig ist. Von diesen sechs Perioden, die circa 1300 Jahre umfassen und bis in die frühe Eisenzeit reichen, stellt die älteste, die Periode I (1800-1450), eine Übergangsphase von der späten Jungsteinzeit zur entwickelten Bronzezeit dar. Sie ist von westeuropäischen, besonders von den Britischen Inseln ausgehenden, sowie südosteuropäischen Einflüssen nicht zuletzt ornamentaler Art geprägt, weist aber bereits eigenständige Züge auf. Diese äußern sich besonders in der Periode II (1450-1250) in einem eigenen dynamischen Kunststil, der Kreise, Spiralen und andere Motive kompositorisch einsetzt. In Periode III (1250-1050) löst sich dieser Stil klein- und feinteilig in Einzelmuster auf. Die Periode IV (1050-900) zeichnet sich durch einen zartlinigen Stil aus. Die Periode V (9. Jahrhundert v. Chr.) ist die Zeit des eleganten, »reichen Stils«, ein letzter Höhepunkt des Kunstschaffens. Mit der Periode VI (8.-6. Jahrhundert v. Chr.), gekennzeichnet durch künstlerische Verarmung, klingt die Nordische Bronzezeit aus.Man konnte sich zunächst das kulturelle Niveau des bronzezeitlichen Nordeuropa nicht ohne Einwirkung der seefahrenden Phöniker oder Etrusker vorstellen. Die Formenvielfalt und der reiche Ornamentschatz des Nordischen Kreises werden nur vor dem Hintergrund verständlich, dass für die einheimisch gefertigten Metallgegenstände, seien sie aus Bronze oder Gold, die Rohstoffe zumeist eingeführt werden mussten; mutmaßliche lokale Lagerstätten, wie auf Helgoland oder in Mittelschweden, konnten den hohen Bedarf an Metall nicht decken. Mit den Handelsbeziehungen und der damit verbundenen Kommunikation ging sicher auch ein kultureller Austausch einher. Auf diese Weise dürften neben den importierten Rohstoffen auch kunsthandwerkliche Erzeugnisse nach Norden gelangt sein, die die heimischen Künstler beeinflussten, wobei die Vorbilder umgewandelt und an den eigenen Geschmack und Stil angepasst wurden. Was im Gegenzug in den Süden gelangte, ist noch unklar, aber offenbar hat, entgegen früheren Meinungen, Bernstein als »Gold des Nordens« keine zentrale Rolle bei den Tauschgeschäften gespielt. Dass man die eingeführten Produkte mit Pelzen bezahlte, ist in Betracht zu ziehen, vielleicht aber kam eine ganze Reihe von weiteren Tauschartikeln hinzu.Die Felsbilder der Bronzezeit gewähren Aufschlüsse über Mythos und Religion innerhalb des Nordischen Kreises und legen auch vom täglichen Leben Zeugnis ab. Diese Felsbilder sind in Stein gehauen oder eingeschliffen, ohne farbliche Anlage. Neben unzähligen Schalengruben, einfache, in den Fels gepickte muldenförmige Vertiefungen, denen sicher ein Symbolwert zugeschrieben werden muss - vielleicht ist es ein kosmisches Symbol und Zeichen für die Unterwelt -, bilden Schiffe und Schifffahrtsszenen die vorherrschenden Themen. Menschen sind häufig dargestellt, besonders als Krieger oder - vielleicht eher - in priesterlicher Funktion mit Schwert oder Axt, aber auch als Lurenbläser, Akrobaten und in Jagd- und Pflugszenen als Bogenschützen und Pflugführer. Zahlreich sind die paarweisen Fußabdrücke von bloßen oder beschuhten Füßen. An Tieren begegnen besonders Pferde, Rinder und Schlangen; selten sind Vögel. Menschliche Gestalten mit Raubvogelköpfen kommen mehrfach vor, Hörnerhelme zeigen gleichzeitig Raubvogelcharakter. Gelegentlich finden sich auch Wagen, und zwar zweirädrige Streitwagen. Motive, Ornamente ebenso wie Figuren der Bronzekunst des Nordischen Kreises finden sich auch auf den Felsbildern.Aus den regelmäßig wiederkehrenden szenischen Abfolgen kann man ansatzweise mehrere »Erzählungen« ablesen, doch ihr eigentlicher Sinnzusammenhang bleibt immer noch verschlüsselt. Ähnlich wie im minoischen Kreta hat es auch im hohen Norden Europas kultische Sprünge gegeben, insbesondere wird auf den Felsbildern der freie Überschlag rückwärts dargestellt. Die Sprungdarstellungen sind in Abbildungen von Rindern oder Schiffsszenen eingebunden, wobei der Salto rückwärts - soweit erkennbar - vom Bordrand der mit vielen Personen besetzten Schiffe aus erfolgt. Es ist immer noch offen, ob es sich bei diesen Szenen, wie Henrik Thrane vor gut zwanzig Jahren formulierte, »um rein epische (erzählende) Darstellungen, um kultische Szenen oder um symbolische Abbildungen von Gottheiten handelt«. Vielleicht sind das aber auch Aspekte einer einzigen Vorstellung. Gedacht wird allgemein an einen männlichen Himmelsgott, den Sonnengott. Diese Gottheit wird nicht eigentlich dargestellt, vielleicht jedoch in der Kreisform und im kultischen Sprung symbolisiert, der bildnerisch zur Kreisfigur gerinnt. Die Ausführung solcher kultischen Sprünge kann auch als Symbol des Übergangs von der einen in eine andere Seinsweise gedeutet werden, sei es im Sinne eines Ritus, mit dem der Eintritt des Kindes in die Gesellschaft der Erwachsenen zeremoniell begangen wird, sei es als Sinnbild des Übergangs des Menschen von der irdischen in eine jenseitige Welt.Insgesamt sind aus der Felsbildkunst des Nordischen Kreises keine einheitlichen oder zeitunabhängig gleich bleibenden Aussagen herauszulesen. Auch in ihr sind die tiefen Wandlungen sichtbar, die die religiösen Vorstellungen Alteuropas während der Bronzezeit erfahren haben. Einer älteren religiösen Schicht gehört der Axtkult an, der seine Wurzel in der vorangehenden Jungsteinzeit hat; darauf folgt ein Sonnenkult - in ihm spielen auch Rinder und Pferde eine Rolle -, der allmählich auch Elemente der Urnenfelderzeit Mitteleuropas mit Motiven der Vogel-Sonnen-Barke aufnimmt. Schließlich erscheinen Hirsch- und Reiterbilder, die in Mitteleuropa die Ältere Eisenzeit (Hallstattzeit) einläuten.Prof. Dr. Albrecht JockenhövelArchäologische Bronzen, antike Kunst, moderne Technik, herausgegeben von Hermann Born. Berlin 1985 (Ausstellungskatalog, Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin).IINordischer Kreis,Vorgeschichtsforschung: Bezeichnung für die von Südskandinavien bis Norddeutschland verbreitete bronzezeitliche Kultur mit dem Zentrum in Dänemark und Schonen. Ihren Beginn (etwa 1500 v. Chr.) belegen importierte Bronzegeräte und -waffen, besonders aus der Aunjetitzkultur Mitteldeutschlands; Importe aus Westeuropa sind seltener. Kennzeichnend für den Nordischen Kreis sind für die ältere Bronzezeit Bestattungen in Baumsärgen unter Grabhügeln, für die jüngere Bronzezeit Nachbestattungen in Urnengräbern oder »reguläre« Bestattungen auf Urnengräberfeldern (nur in der südlichen Zone). Deponierungen von bronzenen, aber auch goldenen Gerätschaften sind für beide Zeitabschnitte typisch. Ein weiteres Spezifikum stellen die Luren dar. Der Bronzeguss wurde bereits seit den Anfängen beherrscht, Treibtechnik ist v. a. durch Goldgefäße ausgewiesen (Funde von Finow und Mariesminde). Verschiedene Funde, so der Sonnenwagen von Trundholm, sprechen für die religiöse Bedeutung der Sonne. In der Wirtschaft scheint die Viehzucht überwogen zu haben. Bernstein wurde in erheblichem Umfang verarbeitet und - auch als Rohmaterial - dem überregionalen Güteraustausch zugeführt. Über eigene Vorkommen an Gold, Kupfer und Zinn verfügte der Nordische Kreis nicht.
Universal-Lexikon. 2012.